Sonifikation des Ausbruchs eines von einem Gletscher blockierten Sees.
Dem seismischen Rauschen zuhören
Im Jahr 2012 nahm ich an einem Forschungsprojekt mit dem Namen GlacioBurst teil, das die Beobachtung eines Gletscherseeausbruchs eines Auslassgletschers des A.P.Olsen Eisschilds in Grönland zum Ziel hatte. In einem vom Gletscher blockiertem Tal bildet sich während der Schmelzperiode ein See. Der sich zunehmend füllende See (wir bezeichnen ihn als A.P.Olsen See) entleert sich abrupt innerhalb weniger Stunden in einem mehr oder weniger regelmäßigem jährlichen Intervall. Dieser Gletscherseeausbruch erzeugt eine Überflutung im Bereich flussabwärts des Gletscherabflusses, an welchem sich auch die Forschungsstation Zackenberg befindet. Der Gletscherseeausbruch findet üblicherweise im Herbst statt, obwohl auch schon Abweichungen von diesem Muster mit Ausbrüchen im Sommer oder Frühling beobachtet wurden. Während unseres Aufenthalts im Frühling 2012 in Grönland haben wir ein seismisches- und geodätisches Monitoring Netzwerk auf dem Gletscher installiert, um den vollständigen Füll- und Ausbruchszyklus des vom Gletscher blockierten Sees aufzunehmen. Eine kurze Beschreibung unseres Projekts ist im Artikel “INTERACT: stories of Arctic science” [1, P. 42] zu finden.
Während unserer Feldarbeiten auf dem Gletscher mussten wir einige vertikale, 1 bis 2 Meter tiefe Schneelöcher graben, um das Eis des Gletschers zu erreichen. Während ich in einem dieser Löcher stand bemerkte ich plötzlich, dass absolute Stille herrschte. Ich habe diese Erfahrung zuvor noch nie in einer freien, natürlichen Umgebung gemacht. Normalerweise, wenn man sich an einem Ort befindet den man als sehr ruhig empfindet, sind immer noch natürliche oder vom Menschen erzeugte Geräusche wahrzunehmen. Aber dieses Mal im Schneeloch in Grönland hörte ich nichts, keine Windgeräusche, kein plätscherndes Wasser, kein Rascheln der Vegetation, keine Tiere, kein menschlich erzeugtes Geräusch, nicht einmal Flugzeuge - einfach Stille.
Dieses Erlebnis ließ mich an all die möglichen akustischen Quellen denken, die an dem Ort noch immer präsent waren, aber einfach zu leise sind um von mir gehört zu werden. Als Seismologe wusste ich, dass das Eis unter mir voll von akustischen Wellen war. Die meisten dieser Wellen haben entweder zu geringe Amplituden und/oder zu geringe Frequenzen, um vom Menschen gehört zu werden. Was für eine Geräuschkulisse würden all die seismischen Wellen wohl erzeugen?
Es gab schon etliche Menschen, die sich auf die Suche nach dem Klang seismischer Aufzeichnungen machten. Beispiele dafür sind seismicsoundslab, Beneath and Beyound: Seismic Sounds oder SeismicSounds on Soundcloud. Ein gängiger Ansatz, um die tiefen Frequenzen seismischer Signale in den hörbaren Bereich zu transformieren, ist das beschleunigte Abspielen der Seismogramme. Diese Zeitkomprimierung bewahrt die Charakterisitk des Frequenzspektrums, das zeitliche Verhalten geht allerdings verloren. Eine andere Methode ist das Pitch-Shifting der seismischen Aufzeichnungen mit Hilfe eines Phase-Vocoders oder granularer Synthese. Bei seismischen Signalen ist normalerweise eine Erhöhung der Frequenz um einige Oktaven notwendig, was normalerweise den Klang stark durch berechnungs-basierte Artefakte verändert [2]. Diese Artefakte können allerdings auch zu einem Bestandteil des Klang-Designs oder der Komposition werden. Neben der Audifikation von Seismogrammen ist das Parameter-Mapping eine weit verbreitete Methode, um die Bodenbewegung in Geräusche und Klänge zu übersetzen (z.B. Fault Trace). Bei dieser Methode werden charakteristische Eigenschaften der Quelldaten Parametern, die den Klang beschreiben (z.B. Tonhöhe, Lautstärke, Frequenz, …) zugeordnet.
Der Datensatz, den wir auf dem grönländischen Gletscher aufgezeichnet haben umspannt 6 Monate von Mai bis Oktober 2012. Eine Standardmethode bei der Analyse seismischer Zeitreihen ist die Berechnung von Spektrogrammen und der Probability Power Spectral Density [3]. Damit erhält man einen guten Überblick über das grundlegende Verhalten des seismischen Hintergrundrauschens und von Perioden, bei denen sich der Frequenzinhalt der seismischen Signale signifikant vom diesem unterscheidet. Die Methoden liefern auch eine gute zeitliche Komprimierung ohne den Verlust wichtiger Informationen. Große Datenmengen können demnach sehr schnell nach Phasen von speziellem seismologischem Interesse durchsucht werden.
Das oben dargestellte Spektrogramm hebt die Stärken dieser Langzeit Spektrogramme hervor. Einige Muster stechen sofort hervor. Die beiden breitbandigen, scharfen vertikalen Linien gleich nach den Stunden 60 und 84 mit hoher Energie bis weit in die tiefen Frequenzen markieren zwei starke Erdbeben (Mw = 6.6 und Mb = 5.3) mit einem Epizentrum in der Nähen der Jan Mayen Inseln. Mehrere folgende ähnliche Signale, aber nicht mit einem vergleichbar starkem Anteil niederfrequenter Signalinhalte, markieren Nachbeben des Jan Mayen Hauptbebens. Weiters ist im Frequenzbereich über 4 Hz das Auftreten von täglichen Mustern im seismischen Rauschen zu erkennen. Ein genauerer Blick in die seismischen Daten zeigte, dass dieses Rauschen durch eine große Anzahl von Eisbeben innerhalb kurzer Zeitintervallen (kleiner einiger Sekunden) erzeugt wurde. Das führt sofort zu der Frage: “Was ist das Rauschen?”. Nach Scales und Snieder [4], ist das Rauschen der Teil der Daten, den wir nicht versuchen zu erklären. Das Rauschen ist also der Signalanteil, der den Beobachter nicht interessiert und der ihn bei der Suche nach seinen Signalen eventuell stören kann. Dieser sehr subjektive Ansatz spiegelt sich auch in dem zuvor beschriebenem täglichen Muster wieder, bei dem der Unterschied zwischen Signal und Rauschen durch den Beobachtungszeitraum und das temporale Auflösungsvermögen bestimmt wird.
Die detaillierte Untersuchung des seismischen Hintergrundrauschens führte zu drei Fragen, die ich versuche mit akustischen Methoden zu erforschen: Wie beeinflusst die zeitliche Auflösung die Wahrnehmung von Rauschen? Wann verwandelt sich ein Signal in Rauschen, und wann wird das Rauschen zum Signal?
Mein Startpunkt für die Erzeugung einer Klang-Textur [5], die das seismischen Hintergrundrauschen repräsentiert, ist die Sonifikation von seismogrammen. Ich verwende die selbst entwickelte Software psysmon für die Datenanalyse und die Signalverarbeitung, selbst entwickelte Python Skripte für die Vorbereitung der Daten und SuperCollider für die Sonifikation.
Mein erster Ansatz für die Sonifikation besteht aus der Erzeugung einer Oszillator-Bank, die auf den lokalen Frequenzspitzen des Energiedichtespecktrums der Seismogramme basiert. Zusätzlich wird das Noise-Shaping weißen Rauschens mit dem Energiedichtespektrum der Seismogramme verwendet, um die Frequenzen der Spektren in den höhrbaren Bereich zu verschieben. Die zeitliche Entwicklung ergibt sich durch den Durchlauf der Frequenzspektren der Spektrogramme. Die Sonifikation erfolgt für jede der 5 Stationen des seismischen Netzwerks einzeln und wird im Stereofeld verteilt.
Folgend sind die Sonifikationen von 4 Tagen des GlacioBurst Datensatzes zu finden. Die Bilder der einzelnen Tracks zeigen die Spektrogramme der Station AP01 einer Woche. Die Zeitspanne, die für die Sonifikation verwendet wurde ist in diesen Bildern hervorgehoben. Die ausgewählten Beispiele zeigen charakteristischen Eigenschaften des seismischen Hintergrundrauschens am A.P.Olsen Eisschild Ausflussgletscher und einige herausstechende Ereignisse.
Ich empfehle die Verwendung von Kopfhörern für das Anhören der Klangbeispiele.
m-aar Radio
Die Sonifikation des gesamten Datensatzes ist in einer Endlosschleife im m-aar Radio verfügbar.
Danke
Das Glacioburst Programm wurde von https://seis-uk.le.ac.uk/ durch die Bereitstellung seismischer Ausrüstung, das INTERACT Projekt, das Polarvision Projekt (Austrian Federal Ministry of Science and Research, GZ:37.556/0002-II/4/2010) durch die Bereitstellung der Reisekosten und der Zackenberg Research Station mit einem herzlichen Empfang, logistische Abläufe und einer hervorragend ausgestatteten Werkstatt unterstützt.
Referenzen
- T. V. Callaghan, H. Savela, Seventh Framework Programme (European Commission), DCE - Nationalt Center for Miljø og Energi, and Interact (Organization), INTERACT: stories of Arctic science. 2017.https://eu-interact.org/publication/1349/
- R. McGee and D. Rogers, “Musification of Seismic Data,” in Proceedings of the 22nd International Conference on Auditory Display - ICAD 2016, 2016-07, pp. 201–204.http://doi.org/10.21785/icad2016.021 http://hdl.handle.net/1853/56569
- D. E. McNamara and R. P. Buland, “Ambient Noise Levels in the Continental United States,” Bulletin of the Seismological Society of America, vol. 94, no. 4, pp. 1517–1527, 2004.http://doi.org/10.1785/012003001 http://www.bssaonline.org/content/94/4/1517.abstract
- J. A. Scales and R. Snieder, “What is noise?,” Geophysics, vol. 63, no. 4, pp. 1122–1124, 1998.
- D. Schwarz, “State of the Art in Sound Texture Synthesis,” in Proc. of the 14 th Int. Conference on Digital Audio Effects (DAFx-11), 2011, p. 12.
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